«Unser Ziel ist es, eine vernetzte Lehrkultur zu etablieren»

Im Herbstsemester startet der revidierte Bachelor Architektur an der ETH Zürich. Im Interview erklären Elli Mosayebi, Vera Kaps und Steffen Hägele die Revision, die Ziele und den Prozess dahinter.

Ab Herbst startet der revidierte Bachelor Architektur an der ETH Zürich. Warum wurde der Studiengang überarbeitet? Was war die Absicht hinter der Curriculumrevision?

Elli Mosayebi: Der Wunsch nach einer Aktualisierung und Verbesserung des Bachelors stand schon länger im Raum und mündete 2022 in eine Arbeitsgruppe. Die Curriculumrevision baut auf die strategischen Ziele des D-ARCH und auf Initiativen am Departement. Zudem steht eine ETH-weite Reglementsänderung (PAKETH) an, welche von der Bachelor Revision bereits antizipiert wird.

Ziel der Überarbeitung war es, einen klaren Bildungsweg im Bachelorstudium zu schaffen. Der Bachelor wird dabei nicht länger nur als Vorbereitung auf den Master verstanden, sondern als eigenständige Studienphase mit einem eigenen Profil. Der Studiengang adressiert aktuelle und zukünftige gesellschaftliche und ökologische Herausforderungen und bereitet auf ein vielfältiges Berufsfeld in Architektur und verwandten Disziplinen vor – klar abgegrenzt vom stärker spezialisierten Masterangebot des D-ARCH.

Wie war der Prozess organisiert? Wer war alles beteiligt an der Revision?

Vera Kaps: Uns war es ein grosses Anliegen den Revisionsprozess partizipativ zu gestalten. Zu Beginn des Prozesses haben wir deshalb das Format der “extra UK” (Unterrichtskommission) gebildet, zu dem alle Stände des Departements zur Mitwirkung eingeladen sind. Hier teilen wir den aktuellen Stand der Revision, diskutieren Themen des Curriculums, stellen neue Lehrformate vor und geben Raum für informellen Austausch. Zudem haben wir Arbeitsgruppen gegründet zu Themen wie etwa Workload, Praktikum oder Assessment. Unser Ziel ist es, eine vernetzte Lehrkultur zu etablieren: mehr Austausch zwischen den Dozierenden pflegen und Synergien zwischen Professuren bilden.

«Uns war es ein grosses Anliegen den Revisionsprozess partizipativ zu gestalten.»
Vera Kaps

Was sind die wichtigsten Änderungen für Studierende?

Steffen Hägele: Das Curriculum ist neu in drei Phasen gegliedert: Foundations, Positions und Explorations. Diese Struktur ermöglicht einen stufenweisen Kompetenzaufbau. Ziel ist ein kompetenzenorientierter Studiengang. Es geht also nicht mehr um die Akkumulation von möglichst viel Wissen, sondern um die Verknüpfung von architektonischen fach- und methodenspezifischen Kompetenzen mit Sozial- und Persönlichkeitskompetenzen.

Die Änderungen sind vielfältig und betreffen eine Stärkung der architektonischen Grundlagen und die Möglichkeit für eine individuelle Profilbildung sowie eine bessere Verbindung zu Praxis und Forschung. Neu wird ein integratives Lernumfeld die persönliche und fachliche Entwicklung der Studierenden zusätzlich fördern und sie –so hoffen wir– besser auf die komplexen Anforderungen der Berufswelt vorbereiten.

Was bedeutet das konkret? Wie ist der revidierte Bachelor neu strukturiert?

Vera Kaps: Neu strukturieren wir den Bachelor in vier Streams: Architektur & Kunst, Geschichte & Baukultur, Umwelt & Gesellschaft und Bauen & Technologie. Diese Streams verlaufen über Institute hinweg. Zudem bauen die drei Jahre inkrementell aufeinander auf: Im ersten Jahr “Foundations” lernen Studierende die Grundlagen im Entwerfen aus multidisziplinärer Sicht. Im zweiten Jahr “Positions” lernen sie verschiedene architektonische Haltung kennen und sich innerhalb dieser positionieren. Im dritten Jahr “Explorations” gestalten sie ihren individuellen Lernpfad, indem sie mehr Wahlmöglichkeiten bekommen.

Im Detail haben wir die Kunst über alle drei Jahre verteilt im Unterschied zu heute, wo sie geballt im ersten Jahr unterrichtet wird. Neu stärken wir Landschaftsarchitektur, um unsere Bachelorstudierenden neben dem Master in Architecture auch auf den Master in Landscape Architecture vorzubereiten. Das Architekturpraktikum ist zudem künftig als “Lehrveranstaltung” mit 8 Kreditpunkten deklariert, was zur Folge hat, dass Studierende neu einen Praktikumsbericht verfassen werden. Und Wahlfächer haben wir in die Master verschoben, in dem Studierende sich zukünftig noch stärker spezialisieren können.

«Der neue Erstjahreskurs ist ein Novum, auf das wir sehr stolz sind.»
Steffen Hägele

Im ‘Studio Foundations’ im ersten Jahr unterrichten acht Professuren gemeinsam. Was ist die Idee dahinter?

Steffen Hägele: Das ‘Studio Foundations’ ersetzt den bestehenden Erstjahreskurs von Andrea Deplazes, der emeritiert wird. Der neue Erstjahreskurs ist ein Novum, auf das wir sehr stolz sind: Das architektonische Entwerfen wird zum ersten Mal im Kollektiv von einem interdisziplinären Team aus allen Fachrichtungen im Departement unterrichtet. Wir sind überzeugt, dass das Entwerfen nur so sein volles Potenzial entwickelt. Die Studierenden lernen das Entwerfen künftig von Anfang an in der vollen Komplexität – sie werden aber in Anbetracht dieser Herausforderung Schritt für Schritt begleitet.

Dieses Entwurfsverständnis entspricht auch einem veränderten Rollenverständnis. Bislang gaben ein oder zwei autonome Entwurfsprofessor:innen im ersten Jahr den Ton an. Künftig herrscht von Anfang an eine Polyphonie an unterschiedlichen Blickrichtungen und Ansätzen. Das Entwurfsstudio bekommt zudem mit drei Tagen mehr Raum in der Woche; der Entwurf wird somit gestärkt und gleichzeitig werden die Fächer präsenter und im Entwurf konkret erlebbar.

Welche Themen werden künftig stärker gewichtet in der Lehre?

Elli Mosayebi: Insgesamt haben wir eine massvolle Neuausrichtung an gesellschaftliche und ökologische Herausforderungen und an technologische Umbrüche angestrebt. Die Schwerpunkte des Studiengangs umfassen weiterhin den Entwurf und die Konstruktion, erweitert und gestärkt in Richtung der strategischen Ziele des Departements. Wichtig erscheint mir auch der Ausbau und die Stärkung der persönlichen und sozialen Kompetenzen. Die künftigen Absolvent:innen werden bestenfalls beides sein: architektonisch versierte Entwerfer:innen und zugleich gebildete, handlungsfähige Akteur:innen.

In der Lehre werden künftig verschiedene Kompetenzen beurteilt. Wie werden diese benotet?

Vera Kaps: Mit diesem Thema könnten wir einen ganzen Podcast füllen! Unser Ziel ist es, die Leistung von Studierenden ganzheitlicher und differenzierter zu bewerten. Dies ist allein durch eine einzige Note am Ende des Semesters schwer machbar. Vielmehr sollen Dozierende prüfen, wie erfolgreich Studierende neu erworbenes Wissen anwenden – es geht also immer um die Kombination von Fachwissen und Fähigkeiten. Ein Beispiel: Im Erstjahreskurs «Studio Foundations» lernen Studierende die integrierten Disziplinen wie etwa Architekturgeschichte, Energy & Climate Design oder Tragwerksentwurf direkt im Entwurf anzuwenden. Ihre Leistung wird dann auch in Kombination und nicht einzeln benotet. Und natürlich gibt es während des Semesters immer wieder Teilnoten, die am Schluss zu einer Gesamtnote verrechnet werden.

Weiter ist uns wichtig, dass Studierende wissen, welche Kompetenzen sie in welchen Kursen lernen. Das schafft Orientierung und Transparenz. Dazu haben wir ein Kompetenzraster, unseren «Competency Chart», entwickelt, der auch als Grundlage für die Bewertung dient. Dazu erarbeiten wir gerade den «Competency Compass». Dies ist ein visuelles Bewertungswerkzeug, das den Studierenden ihre Stärken und Schwächen aufzeigt. Einerseits markieren Dozierende die Leistung der Studierenden und andererseits sollen Studierende es zur Selbstreflexion nutzen. Vor allem für die Entwurfsstudios sehen wir hier grosse Chancen.

Manche Studierende waren in der Vergangenheit wegen des Zeit- und Arbeitsdrucks überfordert. Wie adressiert die Revision dieses Thema?

Steffen Hägele: Fakt ist, dass die Arbeitslast und der Druck insbesondere in der Vorlesungs- und Entwurfszeit zu hoch und die Peaks schlecht abgestimmt sind. Wir sind überzeugt, dass eine gewisse Intensität zum Architekturstudium gehört, setzen hier aber mit konkreten Verbesserungen an.

Ausgangspunkt ist ein Monitoring der jetzigen Situation und eine Neuberechnung der künftigen Arbeitslast auf Basis von besser verteilten Kreditpunkten. So erhoffen wir uns, den Workload besser evaluieren und steuern zu können. Eine wichtige strukturelle Änderung ist die Reduktion an Fächern und Prüfungen durch die Integration ins ‘Studio Foundations’ sowie eine Reduktion der Kurse in den höheren Semestern. Semesterendprüfungen ersetzen die Endjahresprüfungen, wodurch ein direkterer Bezug zwischen Unterricht und Prüfung entsteht. Zudem ergeben sich kleinere Blöcke und damit ein besserer Rhythmus aus Arbeitslast und Erholung über das ganze Jahr.

Ein spürbares Resultat des partizipativen Revisionsprozesses ist, dass die Lehrenden deutlich mehr miteinander sprechen und nicht nur auf ihr eigenes Lehrformat blicken. Dieses Inseldenken war ein Hauptgrund für ungewollte Belastungsspitzen. Insbesondere dank des ‘Studio Foundations’ sind im ersten Jahr alle Unterrichtenden gemeinsam verantwortlich für die Balance der Arbeitslast über das ganze Jahr.

«Im März haben wir die Curriculumrevision des Masters in Architektur offiziell lanciert.»
Elli Mosayebi

Der revidierte Bachelor startet im Herbst. Wann wird der Master in Architektur überarbeitet?

Elli Mosayebi: Wir sind bereits mittendrin! Diesen Winter haben wir den Fahrplan und die Rahmenbedingungen vorbereitet und im März die Curriculumrevision des Masters in Architektur offiziell lanciert. Ziel ist, zur eingangs erwähnten ETH-weiten Reglementsänderung im Herbst 2027 mit dem neuen Programm zu starten. Momentan erarbeiten die am Studiengang beteiligten Professuren die Kompetenzen und die künftigen Kurse. Parallel befragen wir Studierende, Mittelbau und Professor:innen. Diese zwei Stränge werden wir im Sommer zusammenführen und ein Grobkonzept für den neuen Master in Architektur erarbeiten.

Man könnte meinen, dass es nach der Revision des Bachelors erstmal eine Pause braucht. Wir möchten aber direkt an deren Erfahrung anknüpfen und die momentane Bereitschaft, sich zu beteiligen, nutzen und den Schwung mitnehmen.

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