«Mensch und Maschine finden gemeinsam die besseren Lösungen»
Bernd Bickel forscht an der Schnittstelle zwischen digitaler und realer Welt. Der ETH-Professor arbeitet dafür mit Augmented Reality, maschinellem Lernen und interaktiven Design-Tools. Für seine Arbeit wurde er bereits mit einem technischen Oscar ausgezeichnet.
Bernd Bickel sitzt in einem verglasten Büro, das noch mit einem falschen Namen angeschrieben ist. Der Professor für Computational Design hat erst kürzlich an der ETH Zürich angefangen. Doch die Hochschule kennt der 42-jährige Österreicher gut, seit er an der ETH seinen Doktortitel in Informatik erworben hat. Seither hat er eine steile Karriere gemacht, die ihn bis nach Hollywood geführt hat.
Bei den Disney Research Studios hat er zusammen mit ETH-Professor Markus Gross ein Facial-Capturing System namens Medusa entwickelt, das die Mimik eines Schauspielers porengenau aufzeichnet und auf ein digitales Modell überträgt. So kann das Gesicht am Computer verändert oder auf eine andere Person übertragen werden. Für die Technik, die schon für Filme wie «Avengers: Endgame», «Star Wars» oder «Pirates of the Caribbean» verwendet wurde, erhielten Bickel und sein Team 2019 einen technischen Oscar.
Vor seiner Berufung an die ETH wirkte Bickel am Institute of Science and Technology Austria und bei Google, wo er als Senior Staff Research Scientist nach wie vor in Teilzeit angestellt ist. Sein Spezialgebiet ist die Verknüpfung von digitaler und realer Welt. Je näher beide zusammenrücken, desto einfacher wird es die neuen technischen Möglichkeiten auszunutzen – auch im Bauen. «Künstliche Intelligenz und Augmented Reality verändern, wie wir in Zukunft arbeiten werden», sagt Bickel. Sein Lehrstuhl ist eingebettet in das Forschungszentrum Design++, das Architektur und Ingenieurwesen mit digitalen Methoden voranbringen will. Um die interdisziplinäre Forschung möglichst in die Breite zu tragen, ist Bickels Lehrstuhl gleich an zwei Departementen an der ETH angesiedelt: an jenem für Architektur und an jenem für Bau, Umwelt und Geomatik.
«Der Computer wird die Kreativität der Menschen nicht ersetzen. Aber wenn Mensch und Maschine gemeinsam planen, findet man die besseren Lösungen.»Bernd Bickel
Bickel ist Informatiker und sieht sich als Brückenbauer. Die digitalen Technologien finden den Weg besonders schnell von der Forschung in die Praxis. Seit ein paar Jahren verändern Sprachmodelle wie ChatGPT, wie wir mit dem Computer interagieren. Das wird auch das Planen verändern, ist Bickel überzeugt. Heute ist für viele Planungsprogramme viel Spezialwissen nötig. Künftig könnte der Zugang niederschwelliger sein. «Der Computer wird die Kreativität der Menschen nicht ersetzen», sagt Bickel. «Aber wenn Mensch und Maschine gemeinsam planen, findet man die besseren Lösungen.» Was das konkret bedeutet, erfahren die Architektur- und Bauingenieurstudierenden ab Herbstsemester 2024 in der Vorlesung «Scientific Machine and Deep Learning for Design and Construction».
Der Professor arbeitet unter anderem an interaktiven Design-Tools, die den Benutzern ein direktes Feedback geben. Das macht es einfacher, um beispielsweise sogenannte Meta-Materialien zu entwickeln. Diese werden mit einem 3D-Drucker gedruckt und haben je nach Struktur andere Eigenschaften wie Gewicht, Akustik oder Wärmeleitfähigkeit. Dank der Software lassen sich die komplexen Strukturen am Bildschirm effizient entwerfen und verändern.
Eine andere Anwendung sind gekrümmte, kalt gebogener Glaselemente für Fassaden, deren Berechnung besonders komplex ist. Dank der Software kann eine Planerin interaktiv am Bildschirm herausfinden, wo die Grenzen des Materials sind: Sobald die Radien zu eng werden, erscheinen die Fassadenelemente rot. «So können Architektinnen und Architekten ästhetisch überzeugende Lösungen finden, die auch technisch funktionieren», sagt Bickel. Hinter der simplen Bedienung steckt ein Modell, das dank maschinellem Lernen die maximale Belastung im Material in Echtzeit berechnet. Je früher solche Informationen in die Planung einfliessen, desto besser, weil spätere Änderungen teuer sind.
Auch das nachhaltige Bauen kann von Extended Reality profitieren. Bickel forscht mit dem ETH-Professor Robert Flatt und der ETH-Professorin Caterine de Wolf an Anwendungen, um Bauprozesse oder Bauteile digital zu überprüfen. Der Computer kann beispielweise einen Inspekteur einer Betonbrücke auf besonders kritische Stellen hinweisen, um die Langlebigkeit des Bauwerks zu erhöhen. Oder er macht es einfacher, Bauteile zu untersuchen, die wiederverwendet werden. Je mehr VR-Brillen und ähnliche Tools den Massenmarkt erreichen, desto wichtiger werden sie auch in der Planung. «In ein paar Jahren wird ein Laie vielleicht mit einer VR-Brille in seinem sanierungsbedürftigen Haus herumlaufen und die künstliche Intelligenz macht Vorschläge für einen Umbau.» Bickel arbeitet daran, dass solche Visionen, die im Moment noch nach Hollywood klingen, dereinst Realität werden könnten.
Design++
Bernd Bickels Lehrstuhl ist eingebettet in das Forschungszentrum Design++, das Architektur und Ingenieurwesen mit digitalen Methoden voranbringen will. Am 23. Mai um 17.30 Uhr hält Bickel im Rahmen der Seminar-Serie von Design++ einen Vortrag, an dem er rechnergestützte und datenbasierte Entwurfs- und Fabrikationsmethoden beleuchtet.