«Fast alle Epochen von der Antike bis zur jüngsten Gegenwart sind vertreten»

Der International Congress on Construction History findet vom 24. bis 28. Juni an der ETH statt. Professor Stefan Holzer erklärt, wie sich der Kongress verändert hat, warum ein Fokus auf Gewölben liegt und wie er dank KI Steine analysiert.

Stefan Holzer (Foto: Giulia Marthaler)
Stefan Holzer (Foto: Giulia Marthaler)

Der International Congress on Construction History findet zum achten Mal statt. Wie haben sich die Themen in der Fachwelt verändert seit der ersten Durchführung 2006 in Madrid?
Stefan Holzer:
Der grösste Unterschied besteht in der Ausweitung des zeitlichen Rahmens. Construction History hat starke Wurzeln in der Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts und – damit zusammenhängend – bei den Themen "Gewölbe und Gewölbetheorie" sowie "Eisenbau und Entwicklung der Fachwerktheorie". Heute sind fast alle Epochen von der Antike bis zur jüngsten Gegenwart vertreten. Insbesondere der Fokus auf die Nachkriegszeit ist neueren Datums. Von 148 Vorträgen sind heute 65 dem 20. und 21. Jahrhundert gewidmet. Aber ebenso hat sich auch eine starke Fraktion etablieren können, die das Mittelalter und die Frühe Neuzeit in den Fokus nimmt. Zum Beispiel wird am Dienstag in einer ganztägigen Vortragsreihe der Bau von Bögen und Gewölben thematisiert, worauf ich mich besonders freue.

Wie hat sich die Ausrichtung inhaltlich verschoben?
Deutlich spürbar ist eine stärkere Gewichtung von Oral History, was auf die Einbeziehung neuerer bautechnikgeschichtlicher Themen zurückgeht. Im Zuge der globalen Diskussionen über Nachhaltigkeit hat sich ausserdem ein Fokus auf Nutzung, Reparatur, Abbruch und Wiederverwendung des Materials etabliert. Insbesondere die französische Forschung hat ausserdem starke Beiträge zur Wirtschafts-, Sozial- und Rechtsgeschichte beigesteuert, die früher nicht so prominent präsent waren. Alle Beiträge sind durch ein hohes Mass an wissenschaftlicher Seriosität gekennzeichnet, während früher durchaus auch vorhandene Beiträge engagierter Laien verschwunden sind. Damit sind auch "hagiographische" Beiträge zu einzelnen Akteuren der Bautechnikgeschichte nicht mehr vorhanden.

«Deutlich spürbar ist eine stärkere Gewichtung von Oral History, was auf die Einbeziehung neuerer bautechnikgeschichtlicher Themen zurückgeht.»
Stefan Holzer

Was sind der thematische Schwerpunkt und der zeitliche Fokus am diesjährigen Kongress in Zürich?
Der klassische Fokus auf das 19. Jahrhundert wird stark weitergeführt, aber die grösste Anzahl von Vorträgen betrifft die Geschichte von der Nachkriegszeit bis zur Gegenwart. Bemerkenswert ist aber immerhin auch der Fokus auf Gewölbe des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, der sich von selbst aus der Anzahl eingereichter Beiträge so ergeben hat - sicher nicht ganz zufällig, sondern auch im Kontext mit der Brandzerstörung und dem Wiederaufbau von Notre Dame in Paris.

Welche Aspekte bringt Ihr Lehrstuhl für Bauforschung und Konstruktionsgeschichte am Kongress mit ein? Worauf legen Sie das Augenmerk?
Unser Zugang zur Bautechnikgeschichte ist von einer Dualität der Blickpunkte gekennzeichnet: Einerseits gehen wir stark von den Erkenntnismöglichkeiten direkt am erhaltenen historischen Bau-Objekt selbst aus. Andererseits spielt die Auswertung der frühneuzeitlichen Fachliteratur bei uns eine grosse Rolle. Mein Lehrstuhl speziell hat einen eindeutigen Forschungsschwerpunkt in Mittelalter, Früher Neuzeit und 19. Jahrhundert, mit besonderer Betonung von Holz- und Steinkonstruktionen. Damit haben wir in der Bautechnikgeschichte ein spezielles Profil des "material turn". Viele andere Beiträge entsprechen eher den klassischen Zugängen der Geschichtswissenschaften und basieren primär auf Archivmaterial.

«Bei uns spielt der Einsatz von High-Tech-Methoden eine grosse Rolle, insbesondere bei der Weiterverarbeitung von Punktwolken aus Laserscans und Structure-from-Motion-Photogrammetrie.»
Stefan Holzer

Mit welchen Mitteln erforschen Sie die Bautechnikgeschichte konkret?
Bei uns spielt der Einsatz von High-Tech-Methoden eine grosse Rolle, insbesondere bei der Weiterverarbeitung von Punktwolken aus Laserscans und Structure-from-Motion-Photogrammetrie: Wir gewinnen neue Erkenntnisse zu Herstellungstechniken, indem wir aus den rechnerisch ermittelten Abweichungen der gemessenen Geometrie von Gewölben von der Idealgeometrie Rückschlüsse auf Schalung und Schalungstragwerk ziehen. Wir setzen KI ein, um aus Orthophotos automatisiert Steine extrahieren zu können, und können so Tausende von Steinen auswerten, deren Formate und Verband analysieren, und so Rückschlüsse auf Bau- und Reparaturphasen ziehen. Wir werten massgenaue Dokumentationen von Bauwerken automatisiert aus, um Unregelmässigkeiten zu erkennen und Bauphasen zu identifizieren.

8th International Congress on Construction History
Der 8ICCH-Kongress wird veranstaltet vom Institut für Denkmalpflege und historische Bauforschung, dem die Professuren von Stefan Holzer und von Silke Langenberg angehören, in Partnerschaft mit der externe Seite Schweizerischen Gesellschaft für Ingenieurbaukunst.
24. bis 28. Juni 2024, Hauptgebäude, ETH Zürich

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