Die europäische Bürgerinitiative «HouseEurope!» fordert ein «Right to Reuse» für Bestandsbauten

Die Initiative wurde mitinitiiert vom Lehrstuhl von Professor Arno Brandlhuber. Eine Ausstellung dazu wird im Dezember an der ETH Zürich eröffnet, die Unterschriftensammlung beginnt im Januar 2025.

Bis 2050 werden in Europa Milliarden Quadratmeter Bestandsfläche abgerissen – was etwa der Hälfte des gesamten deutschen Gebäudebestands oder mehr als Paris oder Berlin zusammen entspricht. «Dies führt zu einem Mangel an bezahlbarem Wohnraum, Arbeitsplatzverlusten und Umweltschäden», schreibt ein Team von Fachleuten rund um den ETH-Professor und Architekten Arno Brandlhuber.

Er hat deshalb gemeinsam mit Ludwig Engel, Olaf Grawert und Alina Kolar die externe Seite europäische Bürgerinitiative «HouseEurope!» ins Leben gerufen, um den Wert bestehender Gebäude anzuerkennen und zu schützen. Ziel ist eine Gesetzgebung auf EU-Ebene, «die dem Erhalt, der Anpassung, der Renovierung und dem Umbau des Gebäudebestands Vorrang vor Abriss und Neubau aufgrund von Finanzspekulationen einräumt». Die Initiative will Renovierungen erschwinglicher, einfacher und sozialer machen. «Denn der Abriss bestehender Gebäude ist so veraltet wie Lebensmitteverschwendung, Tierversuche und Einwegplastik», schreibt das Initiativkomitee.

Ähnlich wie bei den Schweizer Referenden, bei denen über neue Gesetze abgestimmt wird, können Bürgerinnen und Bürger aus EU-Ländern seit 2012 mit der Europäischen Bürgerinitiative entweder neue Gesetze oder Änderungen an bestehenden Gesetzen vorschlagen. Wenn eine Million EU-Bürger und Bürgerinnen aus mindestens sieben Ländern das Anliegen unterstützen, muss die Europäische Kommission den Vorschlag prüfen und eine Arbeitsgruppe einrichten.

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Für den Erhalt des Mäusebunkers
Sowohl Brandlhubers Lehrstuhl externe Seite station.plus als auch sein externe Seite Büro b+ in Berlin beschäftigen sich schon länger intensiv mit den rechtlichen Rahmenbedingungen der Architektur, etwa mit dem Forschungsprojekt „Legislating Architecture Schweiz“ zum Baugesetz der Schweiz im Jahr 2016. Die Idee zur EU-Initiative kam während der Arbeiten des Büros am „Mäusebunker“ in Berlin, einem brutalistischen Gebäude, das abgerissen werden sollte. Trotz wachsender Unterstützung für dessen Erhalt und Renovierung war die Haltung der Eigentümer klar, denn für sie war die Rechnung einfach: Die Kosten der Renovierung überstiegen den Wert von Grundstück und Gebäude.

Dahinter steckt ein systemischer Nachteil. «Renovationen werden als risikoreicher eingestuft, weil wir nicht die Potentiale von Bestandsgebäuden bewerten, sondern nur die vermeintlichen Risiken», erklärt Architekt Olaf Grawert, Partner im Büro und Mitinitiator der Initiative. Deshalb werde Renovation als schwieriger wahrgenommen und sei daher immer teurer. «Abriss und Neubau werden als einfacher und risikoärmer eingestuft, weil die investierte Energie keinen Wert und damit Preis hat und weil die Risiken von Neubau wie Materialknappheit oder Lieferengpässe nicht bewertet werden. Daher ist Abriss und Neubau immer billiger.»

«Renovationen werden als risikoreicher eingestuft, weil wir nicht die Potentiale von Bestandsgebäuden bewerten, sondern nur die vermeintlichen Risiken.»
Olaf Grawert
Eine Installation illustriert das Thema.
Eine Installation illustriert das Thema. (Foto: Filip Dujardin)

Derzeit ist das Initiativkomitee dabei, den Gesetzesvorschlag auszuarbeiten. Kernforderung ist ein «Right to Reuse» für Bestandsgebäude, das auf drei Säulen beruht: Steuererleichterungen für Sanierungen und wiederverwendete Materialien, etwa ein reduzierter Mehrwertsteuersatz. Faire und transparente Regeln für die Bewertung von Potentialen in Bestandsgebäuden, damit nicht nur die Risiken in den Blick genommen werden . Und neue Werte für die graue Energie und den im Bestand gebundenen CO2-Gehalt, der sonst unberücksichtigt bleibt.

«HouseEurope!» arbeitet mit Personen aus der Architekturszene, Rechtsfachleuten, Ökonomen, Sozial- und Umweltwissenschaftlern und Zukunftsforscherinnen zusammen. «Wir sind allerdings nicht Teil einer politischen Partei, denn wir finden, das Problem betrifft uns alle», sagt Alina Kolar, Kampagnenmanagerin von «HouseEurope!». In einer Demokratie braucht jede Initiative oder Gesetzesrevision die Unterstützung der Bevölkerung. «Es bedarf viel Übersetzungsleistung der Expertise und verständliche Narrative, um die breite Öffentlichkeit und nicht nur die aktivistischen Gruppierungen zu überzeugen.»

«Es bedarf viel Übersetzungsleistung der Expertise und verständliche Narrative, um die breite Öffentlichkeit und nicht nur die aktivistischen Gruppierungen zu überzeugen.»
Alina Kolar
Ein Sanierungsatlas kartiert Best-Practice-Beispiele aus ganz Europa.
Ein Sanierungsatlas kartiert Best-Practice-Beispiele aus ganz Europa.

Auf der externe Seite Website des Projekts erläutern Videoausschnitte aus dem Film „The Demolition Drama“ die Hintergründe. Der Vorschlag wird unter anderem unterstützt von den Architekten und emeritierten ETH-Professoren Jacques Herzog, Pierre de Meuron und Anne Lacaton. externe Seite Ein Sanierungsatlas kartiert Best-Practice-Beispiele aus ganz Europa, bei denen der Bestand saniert und umgestaltet wurde. Um die Initiative in anderen Ländern bekannt zu machen, arbeitet Brandlhubers Lehrstuhl mit Universitäten in Österreich, Deutschland, Italien, Dänemark und anderen EU-Ländern zusammen. Und „HouseEurope!“ ist Teil der Internationalen Architektur-Biennale Rotterdam, die von Juni bis Oktober 2024 stattfindet.

In den letzten beiden Semestern drehte sich auch das Entwurfsstudio um die Initiative. «Wir denken das Studio wie ein Kampagnenbüro», sagt Olaf Grawert. «Wir wollen den Studierenden das Handwerkszeug geben, um eigene Projekte zu entwickeln und selbst aktiv zu werden.» Die Initiative «HouseEurope!» wird auch Thema der nächsten beiden Masterarbeitssemester am D-ARCH sein. Studierende werden Antworten auf die Frage geben: «Wie lassen sich Europa oder die Schweiz im Bestand unterbringen?» Brandlhubers Professur bereitet eine Ausstellung vor, in der alle Lehrstühle in einem Videostatement ihre Antwort geben. Die Umbauschau bildet den Auftakt zur einjährigen Unterschriftensammlungsphase der Initiative, die im Januar 2025 startet.

HouseEurope!
Initiativkomitee: Arno Brandlhuber, Ludwig Engel, Olaf Grawert, Alina Kolar
Website: externe Seite houseeurope.eu
Öffentliche Vortragsreihe: 17. September, 24. September, 1. Oktober, 8. Oktober 2024
Ausstellung im gta Foyer, HIL-Gebäude, ETH Zürich, Hönggerber. Vernissage: 16./17. Dezember 2024

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