Mensch und Maschine bauen in Disentis/Mustér einen Holzturm

Die Caschlatsch-Installation besteht aus 2000 Balken. Das Bauwerk wurde von Studierenden des MAS in Architecture and Digital Fabrication mit parametrischen Werkzeugen und Augmented Reality entworfen und hergestellt. 

Die Caschlatsch-Installation befindet sich auf einem Felsvorsprung in Disentis/Mustér.

Auf einem Felsvorsprung in der Nähe des Lukmanierpasses in Disentis/Mustér, wo einst das Schloss Caschlatsch stand, entdecken Wanderer ein experimentelles Bauwerk, das sie begehen können: 2000 Holzbalken wurden in verschiedenen Winkeln zu einem dreistöckigen Turm zusammengefügt. Für das Projekt hat Gramazio Kohler Research der ETH Zürich mit einem kleinen Team aus der Surselva zusammengearbeitet, darunter der Sozialarbeiter Stefan M. Seydel und der Architekt Ursin Huonder. Das Ingenieurbüro, die Schreinerei und die Baufirma ermöglichten das Bauwerk, indem sie ihre Dienste unentgeltlich anboten.

„Caschlatsch ist eine grossartige Geschichte der Zusammenarbeit“, erklärt Petrus Aejmelaeus-Lindström, Studiengangsleiter des Master of Advanced Studies in Architecture and Digital Fabrication an der ETH Zürich. Den Entwurf für das Bauwerk haben Studierende des MAS DFAB mit parametrischen Werkzeugen entwickelt und gemeinsam mit lokalen Partnern unter Einsatz von VR-Technologien getestet. Von der ersten Skizze bis zum fertigen Bauwerk dauerte es nur zwanzig Wochen.

Bauprozess

„Wir bringen den Studierenden bei, wie man mit digitaler Fabrikation baut“, sagt Aejmelaeus-Lindström. Die Holzmodule wurden im Robotic Fabrication Laboratory an der ETH Zürich von Menschen und Robotern gemeinsam hergestellt. Die Maschine schnitt die Balken zu, die Studierenden montierten sie mit Hilfe einer Augmented-Reality-Schnittstelle auf ihrem Handy. Auf diese Weise konnten sie die Kontrolle über den Prozess behalten und das Gebaute jederzeit mit dem digitalen Modell vergleichen. Einige grössere Elemente wurden von einem Roboterarm gehalten, um ihre genaue Position zu gewährleisten.

Sowohl die Konstruktionswerkzeuge als auch die Verfahren für die kollaborative Mensch-Maschine-Montage haben experimentellen Charakter. Gramazio Kohler Research folgt nicht dem traditionellen industriellen Modell, sondern verfolgt einen integrativen Ansatz. „Der Prozess kombiniert das Beste aus beiden Welten“, erklärt Aejmelaeus-Lindström. „Die Geschicklichkeit der Handwerker und Handwerkerinnen mit der Präzision des Roboterarms bei der Positionierung im Raum.“

Die Elemente wurden zu Modulen zusammengesetzt, die vier mal drei mal zwei Meter gross sind. Per Lastwagen wurden sie nach Disentis/Mustér transportiert und von dort mit einem Helikopter auf die Caschlatsch-Baustelle geflogen. „Die Studierenden mussten die Grösse und das Gewicht der Module im Auge behalten“, sagt Aejmelaeus-Lindström. „Unser Ziel war es, mit weniger mehr zu bauen, um das Holz verantwortungsvoll zu nutzen.“ Die Montage vor Ort dauerte nur zwei Stunden. Im Inneren der Struktur vermitteln die Holzbalken ein Gefühl wie in einem dichten Wald: Man sieht nicht viel, aber man hört den Wasserfall und den Wind in den Bäumen.

Ein praxisorientiertes Programm

Caschlatsch ist eine Symbiose aus Tradition und Innovation, Handwerk und Technologie. Das Projekt vereint Forschungsprojekte von Gramazio Kohler Research, von denen einige zum ersten Mal umgesetzt wurden. Computergestützte Designmodelle halfen, die Komplexität des Entwurfs zu bewältigen. Dank Augmented Reality konnten Mensch und Maschine zusammenarbeiten. Die eigens entwickelte Software COMPAS Timber wurde eingesetzt, um die CAD-Daten automatisch für die CNC-Maschinen zu exportieren. 

Die meisten der MAS-Studierenden sind Architektinnen und Architekten, die sich mit der digitalen Welt vertraut machen wollen. „Wir sind ein praxisorientiertes Programm“, sagt Aejmelaeus-Lindström. „Die Studierenden lernen, wie man Code schreibt und ein Entwurfsproblem mit Algorithmen beschreibt.“ Die Absolventen des Programms verfolgen eine Karriere in der akademischen Forschung, sie gehen in die Industrie oder sie arbeiten in einer spezialisierten Gruppe in einem Architekturbüro. Die Studierenden kommen aus der ganzen Welt. In den letzten Jahren ist das Interesse an digitaler Fabrikation in der Architektur auch in der Schweiz gewachsen, die digitale Planung wird immer wichtiger. „Vor zehn Jahren ging es eher um einen bestimmten Stil in der Architektur, heute erkennt ein breites Spektrum von Architektinnen und Architekten die Möglichkeiten der digitalen Fabrikation.“

Caschlatsch, Installation, Disentis/Mustér, 2024
MAS Architecture and Digital Fabrication, ETH Zurich

Gramazio Kohler Research, ETH Zurich: Prof. Matthias Kohler, Prof. Fabio Gramazio, Dr. Petrus Aejmelaeus-Lindström (Projektleiter), Dr. Oliver Bucklin (Forschungsleiter), Ananya Kango, Simon Griffioen, Francesco Milano, Aurèle Gheyselinck, Alexandra Moisi, Joseph Kenny, Chen Kasirer, Gonzalo Casas

MAS ETH DFAB Students: Amir Ali Amini-Aghdam, Benhur Baiju, Chia-Hsuan Chao, Joana Francisco Tomaz, Hamid Peiro, Junjie Huang, Paul Jaeggi, Jiaxiang Luo, Giacomo Montiani, Wataru Nomura, Panayiotis Papacharalambous, Sukhdevsinh Parmar, Kevin Seav, Gonzalo Seminario Garcia, Megi Sinani, Namdev Talluru, Kai Hsun Yeh

In Kollaboration mit: #dfdu AG (Stefan M. Seydel), Studio UH Architecs ETH SIA, Nicolas Fehlmann Ingénieurs Conseils SA

Bauherrschaft: Gemeinde Disentis/Mustér

Ausgewählte Fachleute: Bearth Lenn AG, Strabag AG Disentis/Mustér, Prof. Daniela Mitterberger (COMPAS_XR), Dr. Ziqi Wang (Task Sequencing and Allocation)

Sponsoring: Schilliger Holz AG, Bearth Lenn AG, Strabag AG Disentis/Mustér, SFS Group Schweiz AG Bau & Holz

MAS ETH DFAB

Seit 2015 organisieren die Lehrstühle Gramazio Kohler Research und Digital Building Technologies den Master of Advanced Studies ETH in Architecture and Digital Fabrication, der Teil des Nationalen Kompetenz- und Forschungszentrums für Digitale Fabrikation ist. Die Studierenden erwerben technische Kompetenzen in Schlüsselbereichen wie Programmierung, 3D-Druck und Robotersteuerung. Ausserdem haben sie die Möglichkeit, grossformatige Demonstratoren zu erstellen. Die Informationstage für das nächste Programm finden im Dezember 2024 statt.

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